Zeitgeschichte 1945–1948 (2): Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 19. März 2018, 17:36 Uhr

"Nur das lebendige Gedächtnis bürgt für die leibliche Tiefe der Geschichte. Die Dokumente sind tot.[1]

Eine gebürtige Weißenburgerin erinnert sich

Bei Kriegsausbruch war ich 13 Jahre. Die schrecklichen Seiten des Krieges haben wir nicht gespürt. Ich empfand meine Jugend als schön. Als ich 17 war, haben wir sogar noch Tanzkurs gemacht, allerdings nicht mit großem Abschlussball, aber immerhin.

Im April 1944 bin ich zum Reichsarbeitsdienst (RAD) einberufen worden. Ein Teil der Mädchen, man nannte sie Maiden, musste u. a. in einer Munitionsfabrik arbeiten. Ich war im „Bann Eichstätt“ kriegsdienstverpflichtet und sollte dann als achtzehnjähriges Mädchen in Eichstätt Jungen im Alter von 15 bis 16 Jahren im Sport ausbilden.

Wenn Fliegeralarm gegeben wurde, sind wir nicht in den Keller, sondern auf den nächsten Hügel, um zu sehen, wo die Bomben niedergingen. Wir hatten keine Angst. So haben wir erkennen können, dass am 23. Februar 1945 in der Weißenburger Gegend Bomben gefallen sein mussten. Treuchtlingen war das Ziel. Als ich heimfahren wollte, konnte ich mit dem Zug von Konstein über Dollnstein nur bis Treuchtlingen fahren. Wegen der völligen Zerstörung des Bahnhofs (mit Hunderten von Toten) musste ich von dort nach Weißenburg heimlaufen.

Bombardierg. NEW.jpg

Am gleichen Tag wurde Weißenburg bombardiert. Ich war zwar nicht in der Stadt, kannte aber eine Familie Schönmetzler. Die Großmutter hatte wegen der Bombenangriffe ihre beiden Enkeltöchter (5 und 7 Jahre alt) aus München zu sich geholt. Die Enkel haben die Oma noch auf die Tiefflieger aufmerksam gemacht, als schon ihr Haus Am Hof getroffen wurde. Beide Enkelkinder kamen ums Leben. Die Großmutter war verschüttet, konnte aber lebend geborgen werden. Bei diesem Angriff wurden 21 Menschen getötet, darunter neun Kinder. Am Südfriedhof findet man einen Gedenkstein für die Opfer.

Im April 1945 war ich in Nassenfels. Bis zu diesem Zeitpunkt hat die Verpflegung noch gut geklappt. In großen (Wasch-)Kesseln wurde von mir das Essen zubereitet. Dann hieß es: Zur Verteidigung werden wir nach Schrobenhausen verlegt, wir Mädchen und die Jungen vom Jahrgang 1928, die noch nicht eingezogen worden waren. Drei Wehrmachtsangehörige haben noch die Jungen im Umgang mit der Panzerfaust ausgebildet. Das alles war sinnlos und eigentlich unverantwortlich. Als dann Ende April die Amerikaner kamen, war plötzlich der Führungsstab weg. So sind wir drei Betreuerinnen mit den Fahrrädern auf der Autobahn zurückgefahren. Aber die US-amerikanische Besatzung hat sofort – noch vor Kriegsende – die Sperrstunde eingeführt: Von 18 Uhr bis 6 Uhr früh durfte kein Deutscher mehr auf der Straße sein. So haben wir auf der Heimfahrt bei fremden Leuten angeklopft und um ein Nachtquartier gebeten, das wir immer bekamen.

Am 8. Mai 1945 haben wir im Radio bei einer Familie in Meitingen, die uns Unterkunft gewährt hatte, gehört: Der Krieg ist aus – das heißt verloren! Wir haben geheult, denn wir waren seit unserer Schulzeit so indoktriniert, dass wir noch an den Endsieg glaubten. Aber wenigstens war aus der engsten Familie niemand durch den Krieg ums Leben gekommen.

Neben dem Problem der nächtlichen Ausgangssperre war ein weiteres, dass von der Besatzungsmacht Gegenstände requiriert werden konnten. So kam ein von den Amerikanern angestellter deutscher „Nichtnazi“ und wollte für das US-Militär mein Klavier mitnehmen. Mein Vater wäre in seinen Augen ein „Belasteter“ (was sich später als unberechtigt herausstellte) und deshalb könnten von ihm Gegenstände beschlagnahmt werden. Durch meinen heftigen Einspruch, dass das Klavier mir gehöre und nicht meinem Vater und ich es für meine Ausbildung brauche, gelang es mir, mein Eigentum zu retten. Aber ein Haus von uns wurde besetzt und der Keller geplündert. Bei uns wohnte jahrelang eine ausgebombte Nürnbergerin mit ihren beiden Kindern.

Nach dem Krieg zogen immer wieder entlassene deutsche Soldaten durch Weißenburg, die wir verpflegt und ihnen eine Übernachtungsmöglichkeit gegeben haben. Überhaupt waren in dieser schweren Zeit der Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung einmalig. Jeder heimkehrende Soldat wurde gefeiert. In Suffersheim und anderen Orten läutete man sogar die Kirchenglocken.

Neben der Nahrungsmittelknappheit war ein großes Problem, dass es zu wenig Brennmaterial gab. So mussten viele frieren, nicht zuletzt, weil viele Fenster kaputt waren und es nicht genügend Glas gab. Zum Teil hat man das Glas von Bildern verwendet, um zerbrochene Fensterscheiben zu ersetzen.

So entbehrungsreich die Zeit für uns damals war, so überraschender empfanden wir es, als nach der Währungsreform im Juni 1948 auf einmal alles wieder zu haben war – gegen harte neue DMark. Die alte Reichsmark war außer einem „Kopfgeld“ von 40 Reichsmark pro Erwachsenem, die 1:1 umgewechselt wurden, nur noch ein Zehntel wert. Aber ab da ging es schrittweise jahrzehntelang nur bergauf.

Die Berichterstatterin wollte anonym bleiben. Sie ist dem Verfasser gut bekannt, er bürgt für die Richtigkeit ihrer Aussagen.

Siehe auch


Fußnoten

  1. Paul Ricoeur, französischer Philisoph, in DIE ZEIT vom 08.10.1998