Weißenburger Pogromprozess von 1946

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Nach dem Zweiten Weltkrieg fand von April bis Mai 1946 mit dem Weißenburger Pogromprozess von 1946 in Weißenburg der bis dahin größte Pogromprozess in der US-amerikanischen Besatzungszone statt. Verhandlungsgegenstand war der Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung in Treuchtlingen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 (so genannte "Reichskristallnacht").

Der Prozess

Weißenburg war im Frühjahr 1946 Schauplatz des bis dahin größten Pogromprozess in der us-amerikanischen Besatzungszone. Verhandelt wurde der Pogrom in Treuchtlingen gegen die jüdische Bevölkerung in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, der so genannten "Reichskristallnacht".[1]. Ingesamt 57 Personen standen als Täter in den Jahren von 1946 bis 1947 wegen des Treuchtlinger Pogrom vor Gericht, was mehr als einen Prozent der damaligen Bevölkerung ausmachte.[2]

Bermerkenswert ist, dass sich auch Frauen und Kinder am Pogrom beteilgt haben. So wurden im Weißenburger Pogromprozess acht Frauen angeklagt. Das Gericht stellte fest, daß sie nicht nur als "Scharfmacherinnen" auftraten. Vielmehr schlugen sie selbst Fensterscheiben ein, schlitzten Polstermöbel auf und trugen Benzin in die Treuchtlinger Synagoge.[3] [4]

Unter den Prozeßbeobachtern befand sich auch Erika Mann, Tochter des Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann. Stationiert im Press Camp in Nürnberg, wo sie den Prozess im Justitzpalast gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof als Angehörige der US-Army beobachtete, arbeitete sie auch als freie Reporterin. Am 26. März fuhr sie nach Weißenburg, um dort für die Londoner Zeitung Evening Standard dem Prozeßauftakt beizuwohnen. Das Verfahren in Weißenburg war insofern von hervorgehobener Bedeutung, als es sich dabei um einen der ersten Kriegsverbrecherprozesse unter deutschem Vorsitz handelte. Zurück in Nürnberg berichtete sie ihren Eltern nach Amerika: „Back from Weissenburg, where jugdes behaved just as they did in last war´s war crimes trials. What a ludicrous farce!“ (Zurück aus Weißenburg, wo sich die Richter genauso verhielten wie in den Kriegsverbrecherprozessen des letzten Krieges. Was für eine lächerliche Farce!)[5] Die für sie offenbar wenig ermutigenden Erlebnisse wollte sie später auch in einem Buch mit Reportagen über bekannte und unbekannte Deutsche verarbeiten (Alien Homeland). Die in Erika Manns Augen wenig überzeugenden Leistungen der deutschen Richter in Weißenburg sollten dabei als Rechtfertigung für den hitzig diskutierten Streitpunkt dienen, dass beim Prozeß in Nürnberg keine deutschen Richter zugelassen waren: "[...] she has to admit that- for the time being at least- the Germans cannot be trusted to take proper care of their own war criminals.” (...man [könne] den Deutschen – zumindest vorerst – nicht zutrauen [...], dass sie sich angemessen um ihre eigenen Kriegsverbrecher kümmern.)[6] Der Reportageband "Alien Homeland" mit dem Bericht vom Weißenburger Progromprozeß blieb Fragment und wurde nie veröffentlicht.

Verurteilungen

In diesem Prozess wurde der ehemalige Kreisleiter und Bürgermeister von Weißenburg Michael Gerstner als einer der Hauptverantwortlichen zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Gerstner hatte sich zuvor darauf berufen, vom Pogrom "nichts gewußt" zu haben[7]. Der ehemalige Standartenführer der SA Georg Sauber und der vormalige SS-Obersturmbannführer Wilhelm Dorner gaben hingegen als Prozesszeugen an, dass Gerstner sowohl den Einsatz beim Judenpogrom in Treuchtlingen als auch in Ellingen koordiniert hatte.

Es wurden folgende Haftstrafen ausgesprochen:

  • Michael Gerstner, Kreisleiter der NSDAP und Bürgermeister von Weißenburg (vier Jahre Zuchthaus)
  • Andreas Günter, erster Bürgermeister von Treuchtlingen (drei Jahre Zuchthaus)
  • Heinrich Raab, Treuchtlingen (vier Jahre, drei Monate)
  • Ludwig Gruber, Treuchtlingen (zwei Jahre Zuchthaus)
  • Karl Drießlein, Treuchtlingen (zwei Jahre Gefängnis)
  • Ottilie Herrmann, Treuchtlingen (zwei Jahre, zwei Monate Gefängnis)
  • Nora Apitz, Treuchtlingen (eineinhalb Jahre Gefängnis)
  • Alois Nürnberger, Treuchtlingen (drei Jahre Gefängnis)
  • Georg Wagner, Treuchtlingen (ein Jahr, zwei Monate Gefängnis)
  • weitere Angeklagte erhielten Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr
  • elf Angeklagte wurden freigelassen

Fußnoten

  1. Berichte der Nürnberger Nachrichten vom 6. April, 10. April, 24. April 1946. Über die Verurteilung berichten die Nürnberger Nachrichten am 11. Mai 1946. Zitiert nach Thomas Wägemann: Schlagzeilen aus Weißenburg 1945-1949. In: Villa Nostra 1/2003, S.12ff.
  2. Wolfgang Benz: Geschichte des Dritten Reiches, München, 2000, S.143. Siehe auch den den digitaler Auszug bei Google Books
  3. "Im fränkischen Treuchtlingen wurden 1946/47 acht Frauen wegen Landfriedensbruchs während der Pogromnacht angeklagt. Das Gericht stellte fest, daß sie nicht nur als "Scharfmacherinnen" auftraten. Vielmehr schlugen sie selbst Fensterscheiben ein, schlitzten Polstermöbel auf und trugen Benzin in die Synagoge.Besonders bemerkenswert ist der Fall Leni K., die bei einem jüdischen Geschäft verschuldet war. Sie drang mit einer Menschenmenge in die Räume ihres Gläubigers ein und versuchte, die Kassenbücher an sich zu bringen. Auch Kinder und Jugendliche nahmen an den Ausschreitungen teil.", zitiert nach Johann Althausr: "Kollektive Barbarei" - Nicht nur SA bereitete das Pogrom vom 9. November 1938 in: "Die Welt", vom 10.11.1998
  4. Wolfgang Benz: Geschichte des Dritten Reiches, München, 2000, S.143: "Nora A veranlaßte die SA zur Rückkehr in ein bereits verwüstetes jüdisches Anwesen und forderte zu weiterer Zerstörung auf mit dem Ruf "Bei Gutmann langts noch nicht, was alles zusammengeschlagen ist". In einem anderen Haus schlitzte sie Betten und Polstermöbel auf, bei der Brandstiftung der Synagoge trug sie Bezin zu, im Schaufenster eines jüdischen Geschäftes zertrampelte sie Waren." zit. nach dem digitaler Auszug bei Google Books
  5. E. M. an Dr. and Mrs. Thomas Mann, Pacific Palisades, March, 24th, 1946. Stadtbiblothek München/ Monacensia. Nachlass Erika Mann
  6. Mann E.: Alien Homeland. Stadtbiblothek München/ Monacensia. Nachlass Erika Mann
  7. Berichte der Nürnberger Nachrichten vom 6. April, 10. April, 24. April 1946. Über die Verurteilung berichten die Nürnberger Nachrichten am 11. Mai 1946. Zitiert nach Thomas Wägemann: Schlagzeilen aus Weißenburg 1945-1949. In: Villa Nostra 1/2003, S.12ff.