Frühmittelalterliches Reihengräberfeld

Aus Wugwiki
Zur Navigation springenZur Suche springen

Reihengräberfeld aus der Merowingerzeit im Bereich zwischen Eichstätter Straße und Niederhofener Straße. Mit geschätzten 1000 – 1200 Gräbern der größte bekannte frühmittelalterliche Friedhof Mittelfrankens und eines der größten Reihengräberfelder Süddeutschlands.


Lage

Das Areal des frühmittelalterlichen Friedhofs befindet sich im Wesentlichen in einem keilförmigen Bereich, der sich vom Gasthaus „Zum Kronprinzen“ nach Osten erstreckt. Die exakte Ausdehnung des Gräberfeldes lässt sich nicht definieren, da weite Teile des mutmaßlichen Friedhofareals überbaut sind. Als minimale Erstreckung nach Westen kann der Kreuzungsbereich von Eichstätter Straße und Niederhofener Straße angenommen werden. Hier wurden Anfang des 20. Jahrhunderts bei Kanalarbeiten erste Gräber und Grabbeigaben entdeckt. Das östliche Ende konnte bei den Grabungen der Jahre 2006/2007 an der Linie der Verbindungsgasse zwischen dem „Brandenburger Hof“ und der Eichstätterstraße („Gärtenweg“) festgestellt werden. Als südliche Grenze wurde 1975 eine ca. 30 Meter südlich zur Eichstätterstraße parallel verlaufende Geländestufe postuliert. Die Gesamtfläche der heute bekannten Anteile des ehemaligen Friedhofs beträgt ca. 17.000 m².


Weißenburg im frühen Mittelalter

Die Zeit zwischen dem Abzug der römischen Besatzungstruppen um 250 nach Christus und der Stadtwerdung Weißenburgs im 11. und 12. Jahrhundert ist bislang wenig erforscht. Dies ist umso bemerkenswerter, als das nur in Teilen erforschte Reihengräberfeld östlich der Altstadt den größten bekannten Friedhof einer Siedlung aus dem Frühmittelalter in der Region darstellt. Der Großteil der bei unterschiedlichen Grabungen gemachten Funde stammt aus dem 7. Jahrhundert. Einzelfunde aus dem 6. Jahrhundert, die aus dem West- und Südteil des Gräberfeldes stammen, zeigen jedoch, dass auch ältere Grablegen vorhanden gewesen sein müssen. Über Lage und Größe der zugehörigen Ansiedelung ist nichts bekannt. Sie könnte aber im Vergleich mit ähnlichen Befunden ca. 300-350 Einwohner umfasst haben. Wegen der eher dünnen Datenlage ist es schwierig bis unmöglich, genaue Aussagen zur Herkunft der „Ur-Weißenburger“ zu machen. Aufgrund verschiedener archäologischer Befunde kann angenommen werden, dass die zum Friedhof gehörige Siedlung eine Mischung aus ursprünglich Ansässigen (Nachkommen aus dem Umfeld des römischen Kastells?) und Angehörigen zugezogener Stämme bewohnte. Spätestens um 530 dürfte die Region um Weißenburg unter die Herrschaft des Merowingerkönigs Theudebert gelangt sein. Aufgrund spezifischer Befunde bei den Grabbeigaben, die vor allem in der auffallenden Häufung von Keramikgefäßen sowie in der Zusammensetzung der aufgefundenen Waffen Parallelen zu Gräberfeldern in Südwestdeutschland sowie dem fränkischen Rheingebiet aufzeigen, wurde die Hypothese aufgestellt, dass es sich bei der Weißenburger Siedlung um einen Verwaltungsstützpunkt gehandelt haben könnte, an dem merowingische Gefolgsleute aus den rheinländischen Gebieten der Franken die Oberschicht gebildet haben. Die vielfältigen Einflüsse bei anderen Fundstücken, die sowohl alamannische, fränkische als auch thüringische Bezüge zeigen, machen eine bezüglich ihrer Herkunft homogene Gruppe von Bewohnern eher unwahrscheinlich. Die Belegung des Gräberfelds endete nach heutigem Kenntnisstand im ausgehenden 7. Jahrhundert.


Die Gräber

Aufgrund der genauer untersuchten Funde des Reihengräberfelds kann von einer zeitlichen Erschließung des Friedhofs von West nach Ost, aus heutiger Sicht stadtauswärts, ausgegangen werden. Da eine systematische Beforschung der westlichen Anteile des Areals nie stattfand (und bis auf ein kleines unbebautes Areal auch nicht mehr möglich ist), kann zum Alter der frühesten Gräber keine genauere Aussage gemacht werden. Die wenigen (Lese-)Funde aus diesem Bereich stammen aus dem 6. Jahrhundert. Die Gräber aus dem relativ gut erfassten östlichen Bereich (Gelände der ehemaligen Gärtnerei Löw) sind überwiegend in die Zeit zwischen 600 und 680 n. Chr. zu datieren. Insgesamt wurden zwischen 1913 und 2008 286 Gräber vermessen, knapp die Hälfte davon wurde wissenschaftlich untersucht; 89 davon vollständig, 34-35 nur teilweise. Die heute bekannten Gräber liegen in der Regel sehr nahe beieinander und sind reihenförmig jeweils in annähernder West-Ost-Richtung angelegt. In wenigen Fällen sind Überschneidungen von Gräbern oder übereinander liegende Anlagen festzustellen. Bei mindestens 31 Gräbern konnten hölzerne Grabeinbauten nachgewiesen werden. Neun der bekannten Anlagen sind mit Kreisgräben umgeben, bei denen es sich vermutlich um die Reste von Grabumhegungen oder Grabhügeln handelt. Derartige Befunde lassen eventuell auf eine herausgehobene gesellschaftliche Stellung der Bestatteten schließen. Bei allen systematisch erfassten Gräbern des Weißenburger Gräberfelds lässt sich eine überdurchschnittlich hohe Zahl (75 – 90%) an zeitnahen Graböffnungen feststellen. Da diese Öffnungen und die Entnahme der Beigaben in der Regel nur wenige Jahre nach der Bestattung erfolgten, gehen Archäologen nach neuesten Erkenntnissen davon aus, dass es sich dabei nicht nur um kriminelle Akte der Folgezeit handelte, sondern dass die Entnahme von Waffen und wertvollen Schmuckstücken von den Nachkommen allgemein geduldet gewesen sein könnte, vielleicht sogar Teil des Totenkultes war. [1]


Die Grabbeigaben

In den meisten Fällen wurden die Toten auf dem Rücken liegend - Kopf im Westen, Füße im Osten - bestattet. Speisebeigaben, Gefäße und Kämme finden sich regelhaft südlich der Gebeine auf Beckenhöhe, Waffen, Trachtbestandteile, Schmuck etc. in unmittelbarer Nähe der Skelette. Speziell in den Männergräbern fanden sich die metallenen Überreste der mitgegebenen Waffenausstattung. Diese bestand neben Lanzen und Schildern aus Kurz- und Langschwertern (Saxe und Spathen) und den zugehörigen Gürtelgarnituren. Unabhängig von Alter und Geschlecht der Bestatteten bestanden die Beigaben aus meist einfach gearbeitetem Schmuck und Alltagsgegenständen wie Messern, Kämmen, Toilettengegenständen und Accessoires der Bekleidung (Gürtel, Gewandfibeln, Wadengarnituren, Schuhwerk). Besondere Erwähnung verdienen aufgrund ihrer Materialbeschaffenheit und seltenen Vorkommens zwei Glasbecher (Tummler), die vermutlich aus dem Rheinland stammen sowie eine Scheibenfibel. Auf der Rückseite der Fibel, die bei den Grabungen im Jahr 1968 geborgen wurde, befinden sich Ritzungen, die eine Runeninschrift darstellen könnten.


Vom heidnischen Kult zur christlichen Kirche

Wie allgemein im süddeutschen Raum endete auch in Weißenburg um 700 die Sitte, die Gräber der Verstorbenen mit wertvollen Beigaben auszustatten. Mit der Übernahme der Macht durch die Karolinger um 750 verloren die alten Gesellschaftsstrukturen ihre Gültigkeit. Aufwändige Grabbeigaben waren nicht mehr nötig, da die Ranghöhe der Familien erbrechtlich festgeschrieben wurde und nicht mehr mit kostbaren Gegenständen demonstriert werden musste. Die Gräber gruppierten sich jetzt meist in kleineren Einheiten, die sich zunehmend im Bereich der neugebauten Kirchen befanden. Für Weißenburg konnten die ältesten Gräber dieser Phase in und an der Kirche „St. Martin“, im Bereich der heutigen Schranne archäologisch gesichert werden. Mit einer mutmaßlichen ersten Bauphase um 700 gehört diese Kirche zu den frühesten Steinkirchen in Bayern. Die beiden Gräber, die innerhalb der Kirche gefunden wurden, enthalten im Gegensatz zu den Gräbern der Merowingerzeit nur wenige bzw. keine Beigaben.


Forschungsgeschichte

Seit 1913 wurden bei verschiedentlichen Erdarbeiten im Umfeld des Gräberfeldes immer wieder Einzelfunde aus der Merowingerzeit gemacht. Diese wurden zwar zeitnah an ihre Auffindung restauriert, zunächst aber nicht wissenschaftlich bearbeitet oder systematisch dokumentiert. Die erste wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gräberfeld erfolgte im Jahr 1968, als einige der Gräber im Zuge von Bauarbeiten auf dem Gelände der ehemaligen Gärtnerei Löw aufgedeckt und durch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege sorgfältig untersucht wurden. Eine weitere Grabungskampagne im Jahr 1974 unter Federführung des späteren Leiters der Archäologischen Staatssammlung München, Ludwig Wamser, konnte weitere 81 Grabstellen nachweisen und dokumentieren. Eine erste systematische Aufarbeitung der vorliegenden Funde vom Weißenburger Merowingerfriedhof erfolgte 1987 im Rahmen einer Magisterarbeit durch Elfi Jemiller. Zwischen 2006 und 2008 wurden weitere 193 Gräber aufgedeckt und vermessen, 13 davon vollständig ausgegraben und wissenschaftlich dokumentiert. Die dabei gemachten Funde, die größtenteils aus dem 7. Jahrhundert stammen, wurden mit Mitteln der Weißenburger Gruppe des Frankenbundes restauriert. Zwischen September und Dezember 2013 wurden diese zusammen mit Funden aus den früheren Grabungskampagnen im RömerMuseum erstmals der Bevölkerung präsentiert. Im Rahmen der Ausstellung mit dem Titel "Zwischen Hain und Himmelreich – Die Reihengräber von Weißenburg" wurden die jüngsten Funde in den Kontext der Altfunde gestellt und deren Bedeutung für das Weißenburger Gräberfeld aufgezeigt. Der aktuelle Kenntnisstand zum Thema Merowinger in Weißenburg wurde zu diesem Anlass in einem Begleitband zusammengefasst.


Literatur

  • Beck, Marcus und Merthen, Claudia: Zwischen Hain und Himmelreich – Die Reihengräber von Weißenburg. Schriftenreihe des Frankenbundes, Heft 4. 2013[2].
  • Jemiller, Elfi: Gräber der jüngeren Merowingerzeit aus Weißenburg i. Bay. Berichte der Bayerischen Bodendenkmalpflege 36/37, 1995/96 (1996). S. 169-306
  • Koch, Robert: Notgrabungen in der ehemaligen Pfarrkirche St. Martin von Weißenburg i. Bay. In: Das Archäologische Jahr in Bayern 1992 (1993). S. 140-142
  • Wamser, Ludwig: Neue Ausgrabungen im Weißenburger Reihengräberfeld. In: villa nostra Beiträge zur Weißenburger Stadtgeschichte III, 1975. S. 17-28
  • Ausführliches Literaturverzeichnis zum Thema in M. Beck/ C. Merthen: Zwischen Hain und Himmelreich, s.o.

Fußnoten

  1. nach Stephanie Zintl: Frühmittelalterliche Grabräuber? – Wiedergeöffnete Gräber der Merowingerzeit, Vortrag am 9. 12 2013, Söller des Gotischen Rathauses , Weißenburg
  2. | Publikationen der Frankenbund Gruppe Weißenburg